Ich war wohl selbst mal ein Pferd

Dressur Klasse M

Ehrlich, ich habe Bedenken geäußert als Herr S. begann, die Pferdeseiten des Internets abzugrasen: Ich argumentierte, dass weder er noch ich reiten konnte, genau genommen keiner von uns je auf einem Pferd gesessen oder auch nur eins am Strick geführt hatte. Und das wichtigste Argument überhaupt: John Seymour hatte nicht behauptet, die Pferdehaltung sei ganz leicht.
Herr S. bedachte meine Vernunftgründe mit einem nachsichtigen Lächeln. Er hatte da einen Oldenburger Wallach im Sinn, den die Freundin einer Arbeitskollegin abzugeben habe, recht günstig, das sei ganz einfach. Sie würde ihn, vorausgesetzt die Chemie zwischen uns stimme, mit ihrem eigenen Pferdehänger frei Haus liefern. Ich könne mir die Sache doch wenigstens mal anschauen, ohne Verpflichtungen natürlich, nur mal so ein Ausflug.

Heidi war eine kleine Frau mit O-Beinen wie ein alter Kavallerist und hinkte ein bisschen. Ich dachte an einen Reitunfall, aber sie hatte Hüfte, einfach Abnutzung, wie andere auch.  Auf dem Weg zur Koppel warnte ich sie, dass wir keine Ahnung von Pferden hätten. „Kann man alles lernen“ antwortete sie verständnisvoll.

Darius, so hieß der Oldenburger Wallach, stand schon bereit. Dunkelbraun, groß, mit einem weißen Komma auf der Stirn. Wenn ich ein Pferd hätte kaufen wollen, dann hätte es so aussehen müssen, aber das sagte ich natürlich nicht laut.
Ich glaubte, Heidi würde jetzt aufsitzen und eine Runde Vor-Reiten, statt dessen legte sie Herrn S. den Arm auf die Schulter und sagte „Wir lassen ihn jetzt mal allein und gehen einen Holunderwein trinken.“


Darius und ich schauten uns in die Augen. Seine waren schwarz und riesig. Er senkte seine Komma-geschmückte Stirn und schnaubte leise. Sein warmes Fell duftete irgendwie vertraut, als sei ich in einem früheren Leben selbst mal ein Pferd gewesen. „Tja“, sagte ich und er lächelte.

Es war Sommer und wir bekamen an den Wochenenden Besuch von Pferdeliebhaberinnen aus der Nachbarschaft, die unsere Erwerbung begutachteten, seinen Gang beobachteten und Mutmaßungen über seinen Charakter anstellten. Darius sei sauer, wurde vermutet, ausgebrannt von vermutlich harter Arbeit auf einem Dressurplatz. Nun müsse man Vertrauen aufbauen, dem Pferd Zeit lassen, auf seiner Welle schwimmen und seinem Gesang lauschen. Oder war es seine Seele, die man baumeln musste? Ich hörte zum ersten Mal, das Pferde longiert, versammelt und gebogen werden, dass sie Pedigree und Exterieur haben, weich im Rücken oder überbaut sind. Auf jeden Fall schien die Beschäftigung mit Pferden eine sehr ernste Angelegenheit zu sein.
Insider des Pferdegeschäfts werden schon bestätigt finden, dass ich keine Ahnung habe, aber es ist noch schlimmer: Ich  bediene mich absichtlich nicht der Insider-Sprache der PferdeflüsterInnen. Mir ist das zu aufgeladen und distinktionsgetränkt.

eines der besten Bücher über die Kulturgeschichte des Pferdes hat Ulrich Raulff geschrieben: „Das letzte Jahrhundert der Pferde“, erschienen 2015 bei C.H.Beck

Die längste Zeit waren Pferde Transportmittel der Krieger und Herren, ihre Zahl begrenzt durch den geringen Überschuss an Futter. Im 19. Jahrhundert wuchs die Zahl der Zugpferde, denn die Industrialisierung auch der Landwirtschaft erhöhte die Erträge, die wachsende Einwohnerzahl und ausgerechnet der Bau der Eisenbahnen ließen den Bedarf an Transportmitteln sprunghaft steigen. Pferde wohnten in den Städten wie Menschen auf mehreren Etagen übereinander. Pferde zogen in die Weltkriege und starben dort zu Millionen. Im Jahre 1950 wurden in der Bundesrepublik Deutschland noch mehr als 1,5 Millionen Pferde gezählt, davon 59 Prozent zugstarke Kaltblutpferde. In den 70iger Jahren fiel ihre Zahl auf weniger als 250.000.  Heute sind es wieder mehr als eine Million – allerdings fast ausschließlich Sport- und Freizeitpferde.

Laut IPSOS-Studie sind regelmäßig aktive Reiter vorwiegend weiblich (78 Prozent), im Durchschnitt 38 Jahre alt, gut ausgebildet und voll- oder zumindest teilberufstätig. 45% der Pferde leben auf Pensionshöfen.


Aus Nutztieren sind innerhalb sehr weniger Jahrzehnte Haustiere geworden, und dafür gibt es heute natürlich einen lukrativen Markt mit Spezialfutter- und Spielzeugherstellern, BeraterInnen, TrainerInnen, TierärztInnen, AusbilderInnen, HeilerInnen und Scharlatanen. Ähnlich wie Katzen, Hunde und andere Haustiere werden auch Pferde manchmal zum Fetisch, zum Statussymbol, zum Kult- und Ersatzobjekt, alles nur eine Liga teurer. Was die Insider-Sprache ausdrückt ist folglich nicht nur Sachkenntnis und Zugehörigkeit, sondern auch Abgrenzung, Überlegenheit, Status und Finanzkraft.

Hundpferd

Ich besuchte Darius gleich morgens nach dem Aufstehen, legte ihm den Strick um und eine Decke auf den Rücken, dann stieg ich auf. Er strahlte warm wie ein Grundofen und schien mein Gewicht kaum zu spüren. Wir gingen wiegenden Schrittes über die Weide, er lenkte nach links wenn ich „Links“ dachte und nach rechts, wenn ich dorthin wollte. Sicher bewegte ich den Kopf oder gab unbewusste Hinweise, aber ich wusste halt nicht, was ich tat.
Nach zehn Wochen rief Nachbarin Barbara an, der Hufschmied komme am nächsten Tag zu ihr auf den Hof und ob Darius nicht mal „dran“ sei.

Eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit machten wir uns auf den Weg und ritten den Rosenower Damm hinauf ins Dorf. Wenn ein Pflaumen- oder Schlehenast in den Weg ragte, beugte ich mich zur Seite. Zu meiner Verblüffung tanzte Darius dann wie eine Ballerina, indem er seine Beine überkreuzte und traversal hinüber zur anderen Seite der Straße schritt. Dort musste ich wieder einem Ast ausweichen mit dem Erfolg, dass er sogleich zurück kreuzte. Wir ritten Schwanensee auf dem Rosenower Damm ins Dorf.

Barbara lachte und meinte: Das ist Dressur Klasse M“.
Die Dressurklassen in Deutschland sind nach steigendem Schwierigkeitsgrad gestaffelt und lauten E (Einsteiger), A (Anfänger), L (Leicht), M (Mittel) und S (Schwer). 
In Klasse M (Mittel) wird überwiegend auf Kandare geritten und die Lektionen umfassen den versammelten Schritt, starken Schritt, starken Trab und starken Galopp.
Jetzt konnte ich kunstreiten, wenn ich auch nicht durchschaute, welche Knöpfe ich dafür drücken musste.

Der Hufschmied machte mir allerdings auch klar, dass Strick und Decke nicht so eine gute Idee waren, wenn man mit dem Pferd über eine Straße musste oder dem Hufschmied Ärger ersparen wollte. Auch das hatte ich bei Raulffs gelesen: Unfälle mit Pferden waren im 19. Jahrhundert Spitzenreiter bei den unnatürlichen Todesursachen der Männer.

Im Sumpf

Im November kam die reiterfahrene Tochter einer Kollegin von Herrn S. zu Besuch und natürlich durfte sie auf Darius reiten. Nach meinem Eindruck kam sie wunderbar mit ihm zurecht, er reagierte sensibel und ich sah keinen Grund, warum sie am zweiten Tag nicht außerhalb der Koppel hätte reiten dürfen.

Nach einer halben Stunde kam sie ohne Pferd, aber bis zur Hüfte matschbekleckert zurück und rief um Hilfe. Darius hatte, berichtete sie, vor einer „Pfütze“ kurz gezögert, war aber dann im Vertrauen auf ihre Befehle hineingewatet, so weit es ging. Ein paar Meter. Und dann ging es nicht weiter, nicht vorwärts und nicht zurück.
Nun steckte er bis zur Kruppe in einem der kreisförmigen, mit Ästen, Laub und Tierkadavern gefüllten Moorlöcher, die in der letzten Eiszeit entstanden waren und deren Gefährlichkeit die Reiterin nicht hatte erkennen können.
Wir sahen schnell, dass wir allein nichts tun konnten und alarmierten die Nachbarn. Barbara kam und die Männer der Freiwilligen Feuerwehr, meine Mitsänger vom Chor und zuletzt auch alle Bewohner der Kommune. Nicht einer der zwei Dutzend Angerufenen zögerte auch nur eine Sekunde.

Wir zerrten mit Seilen und Halfter am Pferdekopf, sprachen ihm gut zu, aber Darius wackelte nur erschrocken mit den Ohren. Es wurde 15 Uhr, uns blieb bis Einbruch der Dunkelheit nur noch eine Stunde. Kurz entschlossen zog ich mich aus und tauchte in die Moorpampe um Darius ein Seil unter dem Bauch durch zu ziehen. Die Berührung tief im Modder erschreckte ihn so, dass er plötzlich mit einer gewaltigen Anstrengung vorwärts sprang, eine enorme Menge Schlamm und Äste verspritzte und schließlich hektisch atmend auf einer winzigen Insel mitten im Sumpf stand.
In Windeseile holten wir Sauerkrautplatten und Bretter aus unserer Scheune und bauten daraus einen Knüppeldamm. Die Konstruktion war wacklig, aber die junge Reiterin versuchte ihr Glück und es klappte, jedenfalls beinahe.

Darius folgte ihr über die  schwankenden Platten und rutschte erst kurz vor dem rettenden Ufer ab. Nun lag er im nicht mehr so tiefen Modder und ließ sich mit Seilen herausziehen. Barbara brachte ihn dazu aufzustehen. Er stand zitternd am Ufer und ich zitterte auch. Ich wollte mich bei den Helfern bedanken, aber mir wurden die Augen nass. Barbara sagte nur „Jetzt noch nicht“, und gab mir die Zügel in die Hand.
Zuhause fragte Barbara, ob ich einen Kräuterschnaps im Haus hätte und ich bejahte, brachte auch gleich ein paar Gläser mit, denn ich nahm an, dass wir uns jetzt einen auf den Schreck genehmigen würden, aber weit gefehlt. Sie zog eine Halbliter-Spritze Schnaps auf und verpasste Darius die ganze Dröhnung ins Maul.
Die nächsten 48 Stunden fraß er ununterbrochen.

meine Herde

Die Schafe reagierten auf mich, aber unser Oldenburger Wallach Darius wartete. Wir ritten oft kleine Runden durch den Wald, begleitet von Hündin Frieda, oder spielten ein bisschen auf der Koppel. Darius war weder von Sturm noch von der sprichwörtlichen Maus aus der Ruhe zu bringen, ich fühlte mich mit ihm absolut sicher. Und ihm ging es anscheinend ähnlich, denn oft fing er an zu gähnen, wenn ich in der Nähe war.
Weil beim Füttern manchmal eine Möhre herunterfiel, bückten wir uns gleichzeitig. Daraus entwickelte sich die morgendliche Begrüßung: Ich verbeugte mich und er desgleichen, was die Feriengäste begeisterte und dem sehr ernsthaft und konzentriert arbeitenden Hufschmied immerhin ein Lächeln aufs Gesicht zauberte.


Ich spiegelte mich in seinen großen immerfeuchten Augen. In seiner Welt war ich der einzige Kumpel. Und wenn Herr S. in Berlin weilte, war Darius meine Herde.

Einmal galoppierten wir durch den Wald zur Badestelle am Warther See, wo ich das dampfende Pferd  ganz ungerührt ins Wasser steigen und sich baden ließ. Die anderen Badegäste beobachteten uns neugierig, vor allem die Kinder, und ich fühlte mich wie im Film.

Allerdings verlor Darius auf dem Parkplatz ein paar Pferdeäpfel, was den Geduldsfaden eines Berliner Vaters reißen ließ: Er forderte die sofortige Entfernung, denn es gebe ja vielleicht Kinder, die nicht wüssten was das sei und die damit spielen würden. Ich muss ihn wohl mit großen Augen angeglotzt haben während ich überlegte, was ich darauf antworten könnte, jedenfalls ließ er mich kopfschüttelnd stehen und ging zurück zu seiner Decke. Dieser tumbe Landmensch, wird er gedacht haben, hat nichtmal verstanden, wo das Problem ist – und ich dachte so ungefähr das gleiche.

Im Winter bekam Darius ein dichtes Fell und sah aus wie ein reicher Pfeffersack im Sonntagsstaat auf einem holländischen Renaissanceportrait. Frostige Kälte machte ihm nicht viel aus. Ein kullerrunder Heubauch ist ein großer Wärmespeicher in Relation zur Oberfläche.  Oft ignorierte er den Stall und stand im Schneegestöber draußen, während die tauenden Flocken an seinen Seiten herunterruntschten.

Pferden gibt man den Gnadenschuss

Die ersten Sonnentage des Frühjahrs weckten seine Lebensgeister. Er tobte im Kreis, hob den Schweif, paradierte und trat mit beiden Hinterbeinen voller Lebensfreude in die Luft, raste im Kreis herum, einmal, zweimal, dann stolperte er über ein kaum sichtbares Hindernis, fing sich aber wieder und stand dann reglos und schwer atmend, mit erhobenem Hinterhuf auf der Stelle. Das sah ungewöhnlich, um nicht zu sagen schrecklich unnatürlich aus. Wir suchten nach dem Hindernis und reimten uns zusammen, dass Darius mit dem Vorderhuf von einer Wurzel gebremst worden war, den Hinterlauf nachgezogen hatte und damit voll gegen diese Wurzel geprallt war.
Wir baten einen auf Röntgenaufnahmen spezialisierten Tierarzt um Hilfe, der trotz sonntäglicher Morgenstunde sofort kam und einen Splitterbruch feststellte. Nach einem Telefonat mit der Tierklinik der Charité war klar, dass es für Darius keine Rettung gab. Den Splitterbruch hätte man mit einigem Glück vielleicht operieren können, aber danach hätte er wochenlang in Bandagen hängen, ununterbrochen massiert und physiotherapeutisch behandelt werden müssen. Von den Kosten im sechsstelligen Eurobereich abgesehen, war ziemlich sicher, dass er nie wieder richtig würde laufen können. Darius musste eingeschläfert werden.


Ich hatte nicht geglaubt, dass mich sein Tod so mitnehmen würde. Er hatte sich auf mich verlassen und nun fühlte ich mich verantwortlich für sein Unglück. Er war ein Familienmitglied und ich hatte ihn nicht beschützt.
An dem Morgen, als er abgeholt werden sollte, saß ich neben seinem kalten Körper auf der Weide um mich zu verabschieden. Der Traktor, an dem eine Dung- und Silagegabel angebaut war, kam wie ein Monster mit riesigen Zähnen über die Weide. Die beiden Abholer waren abgebrühte Rinderzüchter, aber sie sahen sofort wie es mir ging. Sie schoben die Gabeln vorsichtig unter den Körper um ihn nicht zu verletzen, blieben noch einen Moment stehen wie auf einer Beerdigung, bis ich nickte und dann fuhren sie langsam davon.

einmal ein Fohlen

Nach meinem 50. Geburtstag zog ich Bilanz und fragte mich, was ich in den verbleibenden Jahren meines Lebens noch erreichen wollte. Die Liste war lang, aber nachdem ich alles gestrichen hatte, was zwar nett und wünschenswert, aber nicht dringlich war, blieben nur wenige Punkte übrig. Platz 1 verrate ich nicht, aber auf Platz 2 kam der Wunsch, einmal selbst ein Fohlen groß zu ziehen.
Herr S. nahm die Idee begeistert auf. Es dauerte nicht lang und er fand eine Trakehnerstute etwa im gleichen Alter wie Darius, Mutter mehrerer preisgekrönter Fohlen, die bald darauf bei uns einzog.

Fara kurz nach ihrer Ankunft

Ihr Name „Falling Star Number 5“ schien mir etwas sperrig, mein Vorschlag „Scharia“ wurde abgelehnt, also tauften wir die Stute auf den Namen „Fara“. Die Betreuung durch den Trakehnerverband kauften wir gleich mit, denn Fara gehörte zum wertvollen ostpreußischen Genpool, zu dessen Erhaltung und Vermehrung wir bzw. natürlich die Pferde beitragen sollten.
Deshalb saßen wir paar Wochen später mit Nachbarin Barbara und ihrer gerade 14-jährigen Tochter beim Abendessen und debattierten über Spermaqualitäten. Zuletzt entschieden wir uns für einen jungen Hengst mit dem nach „Mozartmörder“ klingenden Namen „Scalietti“. Sein Sperma kam im Reagenzglas mit Eilboten. Fara kannte das tierärztliche Prozedere bereits und hatte auch in der elfmonatigen Tragzeit keine Probleme. Mitte Mai schoss die Milch ein und ihr Euter schwoll an. An einem Morgen Ende Mai hörte ich Hufe auf Holz schlagen, stürmte zum Stall und kam gerade noch rechtzeitig um das Fohlen aus der Mutter flutschen zu sehen.

Traurig war, dass Reinhard nicht mehr dabei sein konnte, er lag in jenem Winter schon mit Krebs in einem Berliner Krankenhaus. Ich glaube ja nicht an Seelenwanderung, aber es muss ziemlich genau die Stunde von Tristans Geburt gewesen sein, in der Reinhard starb. Seitdem stellen wir an jedem Geburtstag, der nun gleichzeitig immer auch ein Todestag ist, fest,  dass Tristan genauso zugewandt, manchmal schalckhaft und ein bisschen übergewichtig in der Welt steht wie Reinhard einst.

Es gab für unser Fohlen eine Menge lebenswichtiger Lektionen zu lernen, etwa brav und achtsam am Halfter gehen, Wasser durchwaten, Straßenverkehr aushalten, Bremsen und Mücken erdulden ohne zu zappeln, andere Pferde ignorieren, Hufe heben und beim Hufschmied mitarbeiten – und alles sah unglaublich schön aus. Wir kamen aus dem andächtig Seufzen gar nicht mehr heraus.

Mit seiner etwas angejahrten Mutter machte das Spielen nicht viel Spaß, er brauchte einen Spielkameraden und es war sicher nicht meine beste Idee, diese Rolle zu übernehmen. So manches Mal pfiff sein Huf nur knapp an meinem Kopf vorbei oder traf mich am Arm, aber weil er noch klein war, kam ich mit blauen Flecken davon. Als Tristan geschlechtsreif wurde, brachten wir Fara für ein paar Monate auf einen Pensionshof und holten für Tristan ein Beistellpferd namens Friedrich. Der biss Tristan, wenn der ihm zu übermütig erschien, kräftig in den Po und verschaffte sich Respekt.
Mit zwei Jahren wurde Tristan „gelegt“, also kastriert. Danach konnte auch Fara wieder auf den Hof.

Tristan und Friedrich

Einreiten

Nach drei Jahren kam der Tag des Anreitens. Wir erwarteten größte Schwierigkeiten, heftige Gegenwehr, einen Kampf des wilden Wesens um seine Freiheit gegen Zügel, Strick und Unterwerfung… Naja, wir hatten Bilder aus Western- und Rodeofilmen vor Augen und waren nicht sicher, ob wir das schaffen würden. Einen Versuch wars wert, und zur Not konnten wir immer noch eine Einreiterin engagieren.
Wir begannen mit Folien und schwerer werdenden Säcken, die wir auf seinem Rücken platzierten. Anfangs wunderte er sich und schaute sich um, aber bald nahm er die Last einfach hin. Er machte gern mit und schien das Gehorchen zu genießen. Wir beschlossen, das Aufsitzen zu wagen.
Ich hielt Tristan am Halfter, während Herr S. vorsichtig und in Erwartung heftiger Reaktionen aufstieg. Völlig ungerührt ging Tristan am Strick eine Runde im Kreis. Wir wechselten uns ab, er lief wie ein alter Hase, im Kreis, über die Weide, links und rechts herum. Wir waren verblüfft und es dauerte tatsächlich eine Weile, bis wir dem Frieden trauten.
Später engagierten wir eine Reitlehrerin, die wöchentlich mit Herrn S. ausritt. Tristan lernte Gehen, Traben und Galoppieren, Linksgalopp, Rechtsgalopp und Rückwärtsgehen. Sieben Jahre blieb Tristan bei uns.

Tristan mit vier Jahren

Abschied

Dann allerdings häuften sich die Zeichen, dass er uns über den Kopf wuchs. Mehrfach riss er sich vom Halfter, machte sich eigenständig auf den Weg zur Hafertonne und lernte dabei natürlich auch, dass er stärker war als wir. Seine Mutter war jetzt 26 Jahre alt und hatte schon deutlich abgebaut. Sie brauchte viel Zeit zum Fressen, die ihr der Sohn nicht ließ. Und zuguterletzt erwies sich unsere 3-Hektar-Weide als  zu klein für zwei Pferde plus Schafe, sie sah die meiste Zeit des Jahres aus wie ein kurzgeschorener Golfplatz.
Schweren Herzens schickten wir ihn aufs „Internat“, in diesem Fall eine Wallachherde in der Nähe. Die anderen Pferde brachten ihm bei, sich in einer Herde einzuordnen. Hier war er nicht mehr Mamas Liebling, sondern einer unter vielen. Sein Po war in den ersten Wochen von Schrammen und Bissen übersät, aber dann kam er zurecht und fühlte sich erkennbar wohl in seinem neuen Leben. Zu seinem Glück eroberte Tristan die Herzen nicht nur der Pferdehofbetreiberinnen, sondern auch einer Reiterin aus Berlin. Sie machte uns schließlich ein Kaufangebot und wir stimmten zu, weil sie ihn in seiner neuen Herde belassen wollte. Damit war das Kapitel Pferde abgeschlossen.